Ein gutes Leben mit Hämophilie

Ein gutes Leben mit Hämophilie

Jan wird seit seiner Geburt im Hämophilie-Zentrum Rhein-Main betreut.

Ein gutes Leben mit Hämophilie

Jan (31) leidet seit seiner Geburt an Hämophilie A. Schon in seiner Kindheit bemerkte er außerdem, dass er Transgender ist: „Ich hatte immer zwei Lasten, die ich mit mir tragen musste.“ Beides wirft dunkle Schatten auf seine Kindheit und Jugend. Seit einem halben Jahr nimmt Jan moderne Medikamente gegen die Bluterkrankheit. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich nun trotz allem frei und sagt: „Du musst versuchen, dich zu lieben, und mit anderen Menschen respektvoll umgehen.“

Man wird damit geboren

Unter Hämophilie A leiden fast nur Männer. Die Krankheit wird aber oft von den Müttern vererbt.

Jan ist ein aufgeschlossener, freundlicher und hilfsbereiter Mensch, der gern mit seinen beiden Hunden spazieren und zur Arbeit geht. Man sieht ihm nicht an, welches Schicksal er seit seiner Geburt mit sich trägt. Als Jan in den späten 80ern geboren wurde, war recht schnell klar, dass etwas mit ihm nicht stimmt. „Ich war gerade geboren, da haben sie festgestellt, dass ich Hämophilie habe“, sagt er. Der Säugling bekam einen Port in die rechte Brust gelegt. Alle zwei Tage wurde ihm darüber der Blutgerinnungsfaktor VIII gespritzt, denn dieser fehlt den Betroffenen. 

Der Fahrt in die Klinik war Alltag

Übertragen wird der zugrunde liegende Defekt auf dem X-Chromosom. Von Hämophilie A sind also vor allem Männer betroffen. Jans Eltern mussten früh lernen, mit ihrem kranken Baby umzugehen. Alle zwei Tage fuhren sie mit ihrem neugeborenen Sohn in die Uniklinik, um ihm über den Port Medikamente spritzen zu lassen. Dort betreute Dr. Carmen Escuriola-Ettingshausen Jan schon damals und heute noch im Hämophilie-Zentrum Rhein-Main. „Wenn wir mit dem Auto fuhren, egal wohin, habe ich immer geschrien: ‚Nicht auf die Autobahn, nicht auf die Autobahn!‘“, erinnert sich Jan. Zu groß war die Angst, dass es wieder in die Klinik geht.

Belastung für Körper und Geist

Bis heute ist Jan diese Angst geblieben: vor der Klinik und vor allen Dingen vor den Nadeln. Mit sechs Jahren lernte er dennoch, sich selbst zu spritzen. Er wollte unabhängiger sein. Auch wurde ihm auf seinen Wunsch der Port entfernt, weil er sich für ihn schämte. Von da an erfolgten die Injektionen intravenös. Die psychischen Belastungen ließen Jan aggressiv und gewalttätig werden, gerade denen gegenüber, die helfen wollten. „Wenn du klein bist, bist du sauer auf alle, weil du siehst, deine Freunde sind frei und müssen sich nicht spritzen.“ Zusätzlich fühlte er sich schon früh als Mädchen in einem Jungenkörper gefangen. Vielleicht, so sagt er*, führte auch das damals zu seinem ablehnenden Verhalten, dass er sich immer falsch fühlte.

Der Umgang mit der Erkrankung prägt das Leben

So zog Jan mit 14 schon von zu Hause aus. Er sehnte sich nach Freiheit, wollte ein normales Leben und die Hämophilie und das ständige Spritzen hinter sich lassen. Von da an spritzte er sich nur noch, wenn die Schmerzen kamen. Er begann Drogen zu nehmen, um sich zu betäuben, und achtete nicht auf seine Krankheit. „Raubbau am eigenen Körper“ und einen „großen Fehler“ nennt er das heute. Was er damals nicht bedachte: Die Folgen der unbehandelten Einblutungen in die Gelenke bleiben ein Leben lang. Heute kann Jan kaum rennen oder springen. Und auch die Angst vor den Injektionen begleitet ihn bis heute. Selbst seine Ausbildung als Tierpfleger und sieben Jahre Arbeit im Tierschutz schafften es auf Dauer nicht, ihm ein ausgefülltes und ruhiges Leben zu geben. Seine Rastlosigkeit trieb ihn schließlich immer weiter von einem Beruf zum nächsten, die Schmerzen und die Hämophilie trägt er dabei stets mit sich.

Dank Innovation ein fast normales Leben

Im Oktober 2019 berichtete ihm Dr. Escuriola-Ettingshausen zum ersten Mal von modernen Medikamenten für Hämophilie-AErkrankte. Bereits ein Jahr zuvor hatte Jan sich für eine Testreihe neuer Medikamente angemeldet, die dann aber so nicht stattfinden konnte. „Ich hätte es gemacht, auch wenn ich gewusst hätte, dass man sterben kann. Hauptsache war für mich: nicht mehr dauernd in die Vene spritzen“, sagt er. Seine Ärztin stellte ihm die fortschrittlichen Therapiemöglichkeiten so vor: „Deutlich seltenere Injektionen als vorher reichen in der Regel aus, und das bei einem guten Blutungsschutz.“ Jan spürte die Erleichterung für sein Leben schnell.

Kein Vergleich zu früher

Die Angst vor den Spritzen ist nicht verschwunden. Besonders Blut abnehmen ist immer noch schlimm, das macht Jan nur selbst. Nachdenklich sagt er: „Das, was du erlebt hast, das bleibt immer. Aber jetzt habe ich Lebensqualität geschenkt bekommen.“ Mit den fortschrittlichen Medikamenten fühlt der junge Mann sich stärker und sicherer. Er hat gelernt, mit der Hämophilie umzugehen. Schon nach nur wenigen Monaten mit den modernen Therapien kann er spürbar besser laufen und hat weniger Schmerzen beim Auftreten. Er arbeitet mittlerweile am Empfang eines Unternehmens, übernimmt Verantwortung und fühlt sich aufgehoben. Von den Drogen ist er lange los. Und auch das Verhältnis zu seinen Eltern hat Jan verbessert. Heute ist es so gut wie nie zuvor. Dabei hatten sie jahrelang keinen Kontakt. Doch inzwischen weiß Jan, was es bedeutet, wenn jemand für ihn da ist. Und er erlebt endlich eine Freiheit, nach der er sich lange gesehnt hat. Die neu gewonnenen Möglichkeiten lassen ihn entspannter sein. Er ist glücklicher.

Hoffnung für alle Betroffenen

Auch für seine zweite Last hat Jan sich nach einer Erleichterung erkundigt. Tatsächlich gibt es in Deutschland Ärzte, die transsexuelle Bluterkranke operieren. Einerseits möchte Jan diese Möglichkeit nutzen. Andererseits sagt er: „Man muss sich vielleicht einfach mit manchem abfinden. Ich werde mein Leben so weiterleben, und im nächsten Leben wird vielleicht alles besser.“ Auf dem Weg der Besserung befindet Jan sich schon jetzt mit den modernen Therapien. „Wenn ich etwas bestimmen würde“, meint er mit einem Lächeln, „würde ich sagen, man soll den Betroffenen nur noch diese Medikamente geben.“

 

*Jan spricht von sich selbst im Maskulinum.

Bildnachweis: Nina Schöner

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