“Ich schlafe, wenn meine Beine mich lassen.”

“Ich schlafe, wenn meine Beine mich lassen.”

Kornelia ist an RLS und Parkinson erkrankt.

“Ich schlafe, wenn meine Beine mich lassen.”

Als Kornelia im Januar 2021 erfuhr, dass sie nicht nur am Restless-Leg-Syndrom (RLS), sondern auch an Parkinson erkrankt ist, steckte die Welt gerade mitten in der Corona-Krise. Auf sich allein gestellt musste die 64Jährige mit der Diagnose leben lernen und schaffte dies auch dank ihrem Mann Jürgen. Erst im September 2021 durften wieder von der deutschen Parkinson- Vereinigung organisierte Selbsthilfe-Begegnungen stattfinden. Endlich kann Kornelia sich auch mit anderen Parkinsonpatienten austauschen.

Eigentlich begann es schon in der Kindheit 

Bereits mit 48 Jahren beantragte Kornelia nach einem ReHa-Aufenthalt erfolgreich ihre Frührente. Denn immer wieder wurde sie tagsüber und somit auch während der Arbeitszeit von Sekundenschlaf übermannt oder konnte vor Müdigkeit kaum denken. Grund für ihre tägliche Erschöpfung war die vom RLS verursachte nächtliche Schlaflosigkeit.

Seit über zwanzig Jahren leidet Kornelia schon an dem Restless-Leg-Syndrom, auch Syndrom der unruhigen Beine genannt. Die Erkrankung hat wie Morbus Parkinson neurologische Ursachen. Sie wird durch einen Dopaminmangel im Gehirn hervorgerufen. Behandelt werden der Mangel und seine neurologischen Auswirkungen üblicherweise mit Dopamin, Dopamin-Agonisten und Schmerzmitteln. Auch Kornelia nimmt seit Jahrzehnten Diverses ein. Dennoch läuft sie nachts unruhig umher, trainiert auf ihrem Ergometer, tanzt und kämpft so gegen die Schmerzen im Bein. „Bei mir fing das eigentlich schon als Kind an mit nächtlichen, wahnsinnig starken Wadenkrämpfen“, erzählt Kornelia. „Aber damals hat man an sowas noch gar nicht gedacht.“ Zudem kannte sie das schon von ihrer Großmutter und ihrer Tante: „Die liefen nachts auch immer herum.“ Denn nur das ist es, was gegen die kribbelnden, schmerzenden, heißen oder krampfenden Beine immerhin ein wenig hilft.

Ein Zufallsentdeckung mit harter Diagnose

Als die Untersuchung auf RLS bei Kornelia durch die zufällige Beobachtung einer Krankenschwester angestoßen und positiv bestätigt wurde, bekam sie noch im Krankenhaus ihre erste Tablette eines Dopamin-Agonisten. „Ich bin ohnmächtig geworden, hab Anfälle bekommen“, erinnert sie sich zurück. Heute weiß sie, wie auch jeder Parkinsonpatient, der Dopamin zuführen muss: „Bei diesen Mitteln muss man sich langsam einschleichen, und wenn man sie absetzen will, langsam ausschleichen.“ Für Kornelia bedeutete das von da an eine stetige Erhöhung der Medikation, doch Linderung verspürte sie kaum. Weiterhin lief sie nachts unruhig umher und war tagsüber dauermüde.  

Zwangsstörungen als Nebenwirkung keine Seltenheit 

Hinzu kam die schwerwiegende Nebenwirkung eines Dopamin-Agonisten, mit der Kornelia nicht gerechnet hatte: Kaufsucht. Was seltsam klingt, ist in der Medizin seit Jahrzehnten bekannt: Über 17 Prozent der Patienten entwickeln bei Einnahme von Dopamin-Agonisten Zwangsstörungen wie Spielsucht, Kaufsucht, Essattacken oder gesteigerte Libido. Manchmal treten sie sogar gebündelt auf. Inzwischen gelten Impulskontrollstörungen als häufige Nebenwirkungen von Dopamin-Agonisten. Zu häufig würden diese Zwangsstörungen nicht als Nebenwirkung, sondern als primäre Psychosen gedeutet, so Dr. John Bostwick, Psychiater, der diesbezüglich um die 270 Krankenakten analysierte. Kornelia hatte Glück im Unglück: Als sie sich endlich traute, ihrem Mann Jürgen von ihrer Sucht zu erzählen, fing dieser sie auf. Doch sie benötigte einen zweimonatigen Klinikaufenthalt mit anschließender ambulanter Psychotherapie, bis die Störung geheilt war. Den Agonisten setzte sie selbstverständlich ab. 

Der Verdacht auf Parkinson stand schon im Raum 

Ihre Neurologin überwies Kornelia darum an Prof. Claudia Trenkwalder, Spezialistin unter anderem für RLS und Parkinson, in Kassel. Dort untersuchte man auch ihren noch nicht lange bestehenden Tremor im rechten Arm. Dieser wurde als essentieller Tremor1 eingestuft und daher nicht als Parkinsonsymptom vermerkt. Dennoch stand die mögliche Diagnose Parkinson damals zum ersten Mal im Raum. Zunächst aber konzentrierte man sich in der Klinik auf Kornelias viel zu hohe Dopamin-Dosierungen. „Ich wurde auf Null gesetzt und habe für einige Tage gar keine Medikamente bekommen. Es war eine wahnsinnige Tortur,“ sagt sie. Nur so konnte festgestellt werden, was ihr Körper wirklich braucht. Das Schlaflabor bestätigte zusätzlich die Diagnose RLS. Kornelias Medikamente wurden neu dosiert. Dennoch hat sie Schmerzen in den Beinen, so sagt sie, „eigentlich nachts immer. Das fängt so gegen 18 Uhr an, wenn man so langsam nach dem Abendbrot zur Ruhe kommt. Wenn man sich auf die Couch setzen will. Das kann ich nicht, ich schau die meiste Zeit im Stehen fern.“ 

Der Dopaminmangel verursacht beide Krankheiten 

Seit Jahrzehnten bestimmt die Krankheit ihren Tagesrhythmus. „Bei mir ist es so, ich schlafe dann, wenn meine Beine mich lassen.“ Tagsüber schläft sie in Gesprächen ein, hat schon S-Bahn-Stationen verschlafen und nickte sogar im Laufen auf einem Wandertrip ein. Ihre Schwägerin konnte sie gerade noch am Rucksack festhalten. Der permanente Schlafentzug führte bei Kornelia sogar schon zu Depressionen. Dass sie nie konkret auf Parkinson untersucht wurde, liegt auch daran, dass das RLS bei ihr so sehr im Vordergrund stand. Man ging einfach davon aus, dass der Dopaminmangel bei Kornelia lediglich zum RLS führte. Dann aber kam und ging der Tremor im rechten Arm. „Daraufhin hat meine Neurologin gesagt, wir müssen jetzt mal so einen DaTSCAN machen, um den Parkinson auszuschließen“, erinnert sie sich.2 Eine Woche nach der Untersuchung, im Januar 2021, stand dann das unerwartete Ergebnis fest: Es ist Morbus Parkinson. „Das hat mich umgehauen!“, erzählt Kornelia. Doch ihr Mann blieb positiv: „Dann schaffen wir das auch noch!“, beruhigte er sie.  

Jeder Parkinson-Patient entwickelt andere Symptome 

Obwohl sie alle Broschüren und Informationsblätter las, die ihre Neurologin ihr mitgegeben hatte, konnte Kornelia nicht abschätzen, was die Diagnose bedeutete. „Jeder einzelne Parkinsonkranke entwickelt andere Symptome, der eine mehr, der andere weniger. Da wusste ich ja gar nicht, was auf mich zukommt.“ Dann kam zum Tremor ein weiteres Symptom hinzu: „Das rechte Bein macht manchmal, was es will. Wenn ich mich konzentriere beim Laufen, dann geht es.“ Mittlerweile hat Kornelia einen Rollator. Doch auch Wortfindungsstörungen treten hin und wieder auf. In den Broschüren ihrer Ärztin stieß Kornelia auf die deutsche Parkinson-Vereinigung (dPV). „Geh da sofort rein,“ sagte ihr Mann. Eintreten konnte Kornelia auch sofort, wegen Corona fanden aber keine Veranstaltungen statt. Auf ihrem ersten Treffen war sie darum erst acht Monate nach ihrer Diagnose, im September 2021. 

Keine Therapie bedeutet: kein selbständiges Leben 

Auch für die anderen Mitglieder der dPV waren die Monate ohne Präsenzangebote schwierig, für manche sogar eine Katastrophe, die in die Pflegebedürftigkeit führte. Denn wegen der Kontaktbeschränkungen fielen für die Erkrankten existentielle Gruppentherapien, Reha-Maßnahmen und Selbsthilfegruppen-Angebote aus. Bereits nach einem Jahr der Corona-Beschränkungen musste Geschäftsführer Friedrich W. Mehrhoff feststellen, dass es für 70 – 80 % der Parkinson-Erkrankten nach einem kompletten Jahr ohne regelmäßige körperliche wie seelische Unterstützung bereits zu spät war, um den vor-Corona-Zustand jemals wieder zu erreichen: „Ich gehe nicht davon aus, dass das möglich ist.“  

Denn die größte Herausforderung bestand für ihn darin, die häufig schwer depressiven Patienten auch digital und kontaktlos zu ihren Reha-Übungen zu bewegen. Depressionen sind neben Bewegungsstörungen die häufigste Folge einer Parkinson-Erkrankung. „Depressionen verstärken sich gerade enorm und generieren einen erhöhten Behandlungsbedarf,“ sagte Mehrhoff noch während der Krise. Eine weitere Herausforderung brachte die körperlich stark einschränkende Krankheit mit sich: Selbst, wenn dPV-Mitglieder digitale sportliche Angebote angenommen hätten, hätten die im heimischen Wohnzimmer behelfsmäßig ausgeführten Übungen ein großes Verletzungsrisiko bedeutet. Besonders Alleinlebende wären ein zu großes Risiko eingegangen: „Dann liegt da einer und kommt nicht wieder hoch!“, so Geschäftsführer Mehrhoff. Immerhin handele es sich um Erkrankte mit eingeschränktem Bewegungsapparat. „… ich muss da sehr vorsichtig vorgehen.“ 

Es ist schön, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen 

Für Kornelia bedeutete die Corona-Krise zum Glück nur, dass sie eine Weile auf ihr erstes Ortsgruppentreffen mit Gelichgesinnten warten musste. Gleich in ihrer ersten Selbsthilferunde im September in Bochum fühlte sie sich gut aufgehoben und tauschte sich rege aus. Sie war nicht das einzige neue dPV-Mitglied. „Und das ist halt das Schöne, dass man sich mit Gleichgesinnten austauschen kann,“ sagt Kornelia. Erfahrungen über Medikamente und erfolgreiche Therapien sprächen sich unter Patienten ganz anders und viel authentischer herum, als verließe man sich lediglich auf die Presse oder seine Ärzte.  

Die Parkinson Vereinigung hat während der Coronakrise ihre Arbeitsschwerpunkte erweitert: Sie hilft bei der Suche nach Pflegehäusern, die offen sind, leitet Vorgänge in die Wege beim Medizinischen Dienst und den Pflegekassen, versucht, Impftermine zu beschaffen oder technisch zu helfen, weil ihre älteren Mitglieder oft nicht technikaffin genug sind, um sich online für einen Impftermin zu registrieren. Kornelia ist zum Glück nicht allein. Ihr Mann unterstützt sie seelisch wie physisch, erkundigt sich nach immer neuen Therapieansätzen. Und auch auf ihr nächstes Selbsthilfe-Treffen in Bochum bei der dPV freut sich die aktive Rentnerin schon sehr.  

Bildnachweis:

  • privat

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