Neue Hoffnung für Hämophilie-Erkrankte

Neue Hoffnung für Hämophilie-Erkrankte

Neue Hoffnung für Hämophilie-Erkrankte

Felix (8) leidet seit seinem ersten Lebensjahr an der erblichen Bluterkrankheit Hämophilie A. Die Erkrankung riss Mutter Johanna (39) und Vater Marcus (45) von heute auf Morgen aus dem normalen Leben und überschattete Felix erste Kinderjahre. Es besteht für den Jungen immer das Risiko gefährlicher äußerer oder innerer Blutungen. Daher musste er bereits als Baby mehrmals täglich von seinen Eltern gespritzt werden – eine Tortur für die ganze Familie. Innovative Therapien ermöglichen dem kleinen Felix und seiner Familie nun ein ganz neues Leben.

Man sieht es ihm nicht an

Er spielt leidenschaftlich Fußball, kurvt auf seinem Fahrrad durch das Viertel, malt mit Wasserfarben kunterbunte Bilder und liebt das Bauen mit Lego. Felix (8) macht all das, was Jungs in seinem Alter gern tun. Nur etwas ist anders bei dem fröhlichen Kind: Felix ist Bluter. Er leidet unter schwerer Hämophilie A, einer seltenen erblichen Erkrankung, die ihn sein Leben lang begleiten wird. „Er war acht Monate alt, als wir auf seinem Bauch plötzlich blaue Flecken entdeckten – hart und so groß wie Golfbälle“, erinnert sich seine Mutter Johanna. „Der Kinderarzt schickte uns in die Düsseldorfer Uniklinik. Dort wurden verschiedene Untersuchungen gemacht, und am nächsten Tag stand fest: Felix fehlt der Gerinnungsfaktor VIII. Was das bedeutet, haben wir Eltern und auch sein großer Bruder Max – er war damals neun Jahre alt – erst gar nicht erfassen können.“ Hämophilie A wird in der Regel von der Mutter übertragen und betrifft fast ausschließlich männliche Kinder. „In unserer Familie war aber kein Fall bekannt und wir waren überhaupt nicht darauf vorbereitet“, sagt Johanna. Dass sie Überträgerin mit verminderten Faktorwerten ist, konnte sie damals noch nicht ahnen. 

Alltag zwischen Klinik und Angst

Die Diagnose krempelt das Leben der Familie komplett um. Felix braucht täglich den fehlenden Gerinnungsfaktor, der üblicherweise in die Vene von Hand, Fuß oder Arm injiziert werden muss. „Wir mussten ihn mit mehreren festhalten. Er wehrte sich mit Händen und Füßen, schrie und schlug um sich – kein Wunder, wie soll so ein kleines Kind verstehen, was da mit ihm passiert? Und das jeden Tag“, erzählt Johanna. Um die geeigneten Injektionsstellen zu schonen, erhielt Felix im Alter von einem Jahr einen Port, einen Katheter unter seinem rechten Schlüsselbein. Aber auch der musste immer wieder neu angestochen werden, um die Medikamente zu injizieren. Anfangs fanden die Injektionen in der Klinik statt, nach und nach auch zu Hause. Die Eltern lernten, damit umzugehen. 

Felix benötigte bald zusätzliche Mittel, denn es bildeten sich Hemmkörper gegen den Faktor VIII, die die Therapie unwirksam machen. „Anstechen, spritzen, anstechen, spritzen – das war unser Alltag, und immer wieder mussten wir unserem Kind wehtun“, schildert die Mutter das Drama der ersten Jahre nach der Diagnose. Ein Leben zwischen Terminen in der Klinik und der ständigen Angst, dass Felix etwas passiert. Denn trotz der Behandlung kam es zu spontanen Blutungen, etwa im Mund oder in Muskeln und Gelenken. „Felix’ Beine waren mehrfach so geschwollen, dass er nicht mehr laufen konnte und Schmerzmittel brauchte.“ 

Auf Hämophilie A lässt sich vor Geburt testen

„Trotz allem haben wir viel gespielt, sind geklettert, Felix hat Radfahren gelernt und kam mit dreieinhalb Jahren in den Kindergarten – in Begleitung einer Assistenz, einer Helferin, die auf ihn aufpasste. Es sollte so normal wie möglich sein“, sagt Johanna. Dennoch hinterlässt eine solch schwere Erkrankung ihre Spuren. Felix zog sich in sein Schneckenhaus zurück, fing erst mit vier Jahren an zu sprechen, und während andere Kinder bunte Bilder malten, waren seine Bilder zunächst nur schwarz. Mit vier Jahren malte er Vulkanausbrüche. „In dieser Zeit hat uns der Kontakt zu anderen Hämophilie-Eltern unheimlich geholfen. Wir waren nicht mehr allein, konnten über unsere Kinder reden, haben Infos zu Medikamenten und Therapien ausgetauscht und uns auch bei Problemen mit der Krankenkasse unterstützt.“ Vor etwa drei Jahren erfuhren Johanna und ihr Mann Marcus von innovativen Therapien, die deutlich verlängerte Anwendungsintervalle ermöglichen. Inzwischen ist Felix in Behandlung bei Dr. Carmen Escuriola-Ettingshausen am Hämophilie-Zentrum Rhein-Main bei Frankfurt. Sie erklärte der Familie, dass die fortschrittlichen Wirkstoffe noch in Studien erprobt werden. Felix kann an den Studien nicht teilnehmen, aber die Ärztin verspricht: „Sobald sie zugelassen sind, wird Felix einer der ersten sein, der sie bekommt.“

Moderne Therapieformen für mehr Lebensqualität

Im Frühjahr 2018 war es dann soweit: Felix wurde auf seine innovative Therapie umgestellt. „Deutlich seltenere Injektionen als vorher reichen in der Regel aus. Das ist für die Familie eine enorme Erleichterung. Für die kleinen Patienten bedeutet das eine ganz neue Freiheit, weg von den ständigen Injektionen“, erklärt Dr. Escuriola-Ettingshausen. Grund für die größere Unabhängigkeit ist, dass die innovativen Wirkstoffe vom Körper nicht so schnell abgebaut werden. Und in der Tat: Felix blühte auf! Im folgenden Jahr kam er in die Schule, sprach und bewegte sich wie jeder andere Junge in seinem Alter. Er spielte Fußball zu Hause und auf dem Schulhof. Seine großen Leidenschaften sind Buchstaben – er wollte ganz schnell lesen lernen – und malen. Erst malte er Krankenhäuser, Ärzte und Patienten, nun sind es bunte Bilder, manchmal mit Tieren und Pflanzen, manchmal abstrakt. „Es scheint so, als hätte er sich den Schmerz von der Seele gemalt“, sagt Johanna. Auch zieht sich Felix gern einmal zurück, entweder zum Lego-Bauen oder um einfach ein bisschen für sich zu sein – als Entspannungstherapie quasi. Das Spritzen ist längst Routine geworden. Felix klebt sich das Betäubungspflaster selbst auf – selber spritzen mag er noch nicht –, Papa hält seine Hand und Mama piekst. Nach einer Minute ist alles überstanden. Nur noch alle drei Monate ist eine Kontrolle der Blutwerte im Hämophilie-Zentrum erforderlich, und Felix ist überzeugt: „Mir passiert nichts!“ Für die Familie begann mit der fortschrittlichen Therapie auch ein neues Leben – bunter, fröhlicher und viel normaler. „Mein Mann und ich können abends mal ausgehen. Dann passt Max auf Felix auf. Die Kinder verbringen das Wochenende bei den Großeltern, und wir müssen keine Angst haben. Wir waren sogar schon im Urlaub zum Skifahren und Rodeln. Hallo Leben, Familie Stein ist wieder mittendrin!“

Bildnachweis: Nina Schöner

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