„Weißt du, ob du die Kinder aufwachsen siehst?“

„Weißt du, ob du die Kinder aufwachsen siehst?“

Anja hat seit mehrere Jahren Parkinson. Die Diagnose verarbeitet sie in Gedichten und mit der Selbsthilfegruppe der JuPa. Foto: N. Banik

„Weißt du, ob du die Kinder aufwachsen siehst?“

Vor sieben Jahren erhielt Anja (52) die Diagnose Morbus Parkinson. Seither hat sich in ihrem Leben einiges geändert – auch zum Guten. Vor allem aber hat Anja viel über sich selbst gelernt und über ihre Freundschaften. Wie die unheilbare Krankheit sie und ihr Leben verändert hat, verarbeitet sie in Gedichten und kurzen Geschichten.

 

Es betraf zuerst die Feinmotorik

Der Parkinson kam schleichend und zunächst unmerklich, so ist es leider häufig. Darum war Anja anfangs gar nicht bewusst, dass etwas Größeres hinter den Symptomen steckte. Sie tauchten beinahe fünf Jahre lang abwechselnd und unregelmäßig auf, als gehörten sie alle gar nicht zum selben Krankheitsbild. Auch darum ist Aufklärung über diese oft verkannte und immer noch stigmatisierte Krankheit notwendig. Die Symptome waren vielfältig. „Es waren feinmotorische Einschränkungen diverser Art“, sagt sie rückblickend. Alle tauchten rechtsseitig auf. Auffallend war der Tremor, der irgendwann ihre Hand befiel und bis heute nicht wieder verschwunden ist. Manchmal lässt er sich durch die Tabletten unterdrücken. Wenn Anja aufgeregt ist, funktioniert das aber oft nicht. Parkinson korreliert mit den Stimmungen, beeinflusst sie und wird von ihnen beeinflusst.  

„Bei der Diagnose hab ich gedacht: ‚Also doch!‘“, erinnert sich Anja. Sie war Anfang vierzig, als die Krankheit sich langsam bemerkbar machte. Die Frage, ob es sich um Parkinson handeln könne, tauchte zwar auf, wurde aufgrund ihres Alters aber lange Zeit immer wieder verworfen. Das ist das Tückische an der vermeintlichen Alterskrankheit: dass sie keine ist. Über die langjährige Diagnosefindung sagt Anja rückblickend dennoch: „Ich hab mich immer gut abgeholt gefühlt.“ Die Diagnose stellte schließlich ein Neurologe in der Uniklinik Bonn, zu dem sie ging, als die Einschränkungen sich häuften. Dort brachte unter anderem der DaTSCAN (Dopamin-Transporter-Szintigraphie) das Ergebnis.

“Weißt du, ob du die Kinder aufwachsen siehst?”

„Parkinson macht jeden Tag zu einem körperlichen und emotionalen Kampf, aufzustehen und weiterzumachen“, erzählt die gelernte Juristin. „Wenn die Leute dich seit Jahren kennen, bemerken sie die Veränderungen an dir und du kommst zunehmend in Erklärungsnöte.“ Glücklicherweise machte Anja keine negativen Erfahrungen in ihrem sozialen Umfeld. Sie wusste nur, dass sie aufklären musste, ging irgendwann in die Offensive, bevor „geredet wird“, weil sie und ihr Mann plötzlich nicht mehr präsent waren. Nicht einmal ihre Kinder wussten in den ersten Jahren von der Diagnose, so lange nicht, wie Anja die Krankheit gefühlt im Griff hatte. Ihre Tochter und ihr Sohn waren 12 und 14, als sie es erfuhren. „Sie gehen da eigentlich sehr normal mit um“, findet Anja. Die beiden wissen, dass ihre Mutter einige Sachen nicht mehr machen kann. Seit einem Jahr ist sie nun aufgrund der Krankheit pensioniert. Für den Haushalt hat sie sich eine Hilfe geholt. Doch mental befand sie sich durch die Pension plötzlich wieder in einem Loch. Zum Glück hatte sie zu dem Zeitpunkt bereits ein Hobby entdeckt, das neben der Familie ihr Antrieb geworden ist: Anja schreibt Gedichte und Kurzgeschichten. Zunächst nur, um etwas für die Kinder zu hinterlassen. Denn ob sie die beiden noch aufwachsen sehen würde, war für die Mutter lange Zeit eine zentrale, sehr belastende Frage, obwohl die Ärzte ihr immer wieder versicherten, Parkinson verkürze nicht radikal jede normale Lebenserwartung. 

Das eigene Tempo im Alltag ist wichtig.

Dass Sie an einer Schreibwerkstatt teilnahm und inzwischen sogar ihren ersten Gedichtband „Gezittert & gereimt” veröffentlich hat, ein „Mutmachbuch“, wie Anja es nennt, hat sie nicht nur ihrer neu entdeckten Courage, sondern auch einem glücklichen Zufall zu verdanken. Von Morbus Parkinson können auch junge Menschen betroffen sein. Die Erkrankung betrifft das nervensystem und ist nicht heilbar. Als eine neue Bekannte sie fragte, was Anja beruflich mache, traute sie sich in einem Anflug von Selbstbewusstsein, offen vom Parkinson und ihrer Frühpensionierung zu erzählen. „Und was machst du den ganzen Tag?“, war die Gegenfrage. Anja berichtete vom Schreiben und fand in ihrem Gegenüber überraschend eine Gleichgesinnte. Überhaupt stellt sie fest, dass das Schreiben verbindet, dass „man Menschen auf einer anderen Ebene kennenlernt.“ Bei der Schreibwerkstatt fühlt Anja sich intellektuell gefordert und kann in ihrem eigenen Tempo schreiben. Was die Fertigstellung eines Textes angehe, sei es egal, wie lange es dauere, ob einen Tag einen Monat.  

Anjas Motivation ist ihre Familie. Ihr Mann ist immer da. Auch von ihren Freunden sind alle geblieben. Das ist bei einer solchen Diagnose leider keine Selbstverständlichkeit. Anja kennt da andere Geschichten von Betroffenen, die sie über die deutsche Parkinson Vereinigung (dPV) kennenlernte. Ihre Freunde sind für sie da, selbst die, die sie anfangs vor den Kopf stieß, weil sie nicht wusste, was sie anderes hätte tun sollen, als sich abzugrenzen.  

GEFANGEN

GEFANGEN – verloren – der ZUKUNFT beraubt,

die man als so planbar und sicher geglaubt.

GEFANGEN – im HEUTE – im HIER und im JETZT,

von Todessehnsucht getrieben und gehetzt.

GEFANGEN – im GESTERN – als wär’ es noch da,

weil GESTERN noch gut und berechenbar war.

GEFANGEN – im MORGEN – dass es wohl NIE gibt,

wenn man sich nur noch hasst und selbst nicht mehr liebt.

GEFANGEN – in GEDANKEN – im eig’nen GEIST,

weil alles um Krankheit und Endlichkeit kreist.

GEFANGEN – VERGESSEN – VERLASSEN – ALLEIN,

hätt’ man die Wahl, würd’ gern’ ein and’rer man sein.

GEFANGEN – in ANGST – DEPRESSION – LETHARGIE,

denn ein Happy End gibt’s in Wirklichkeit nie.

GEFANGEN – verloren – der HOFFNUNG beraubt,

außer ein WUNDER geschieht, was KEINER glaubt.

(Anja Allmanritter)

“Ich bin meinen Freunden unendlich dankbar!”

Natürlich hat sich Anja bei den verprellten Freundinnen und Freunden entschuldigt, als sie ihre Diagnose irgendwann preisgab. Oft tat sie das in Gedichtform, las, weil ihr andere Worte fehlten, ihre Gedichte vor. Wort für Wort erkannten die Freunde, was Anja zu sagen versuchte. Doch zunächst wussten nur die engste Familie und wenige Freunde Bescheid. Ihnen nahm Anja sogar das Versprechen ab, nichts zu erzählen. „Die haben alle jahrelang nicht darüber gesprochen“, erzählt sie dankbar und beinahe ungläubig und ergänzt: „Und waren dennoch immer da, wenn ich reden musste.“ Doch irgendwann war’s vorbei mit der Kraft und es ging nichts mehr. Anja bekam körperlich andere Baustellen, weil sie die ersten Anzeichen für Probleme nicht wahrnehmen wollte, sich stark wähnte. Sie sagt: „Man denkt, man ist stärker als die Erkrankung, aber das ist man nicht.“ Sieben Jahre liegt die Diagnose nun zurück, und bis vor einem Jahr wussten einige Menschen in ihrem Umfeld noch immer nichts von ihrem Parkinson.

Das lag auch daran, dass die Kontrolle der Symptome in den ersten Jahren mit Medikamenten sehr gut funktionierte. Nur zweimal im Jahr musste Anja in die Klinik. Doch irgendwann traten Nebenwirkungen wie Konzentrationsstörungen auf. Die Tabletten reichten nicht mehr, ein Gewöhnungseffekt, mit dem viele Parkinsonbetroffene irgendwann zu kämpfen haben. Dann helfen nur Geduld und Expertise. Anja kam in die Fachklinik in Ichenhausen. „Erklär mal jemandem, warum du mehrere Wochen weg bist“, sagt sie. Langsam wurden dort die Medikamente ausgeleitet und ebenso langsam unter Beaobachtung wieder zugeführt. Inzwischen ist sie gut eingestellt, muss aber alle paar Monate in ihrer aktuellen Klinik in Koblenz zur Kontrolle und manchmal nachgestellt werden. Dass es wieder an der Zeit dafür ist, merkt sie immer an Kleinigkeiten. Ihre Mimik und Motorik sind dann anders, die Belastungsgrenze niedriger. Irgendwann reihen sich dann die benötigten Erholungspausen beinahe nahtlos aneinander. „Auch wenn ich es hasse, ich werde wohl lernen müssen zu akzeptieren, dass Parkinson eine fortschreitende Erkrankung ist, aber das hinzunehmen ist verdammt schwer“, gibt Anja offen zu.

Verbundenheit in der Selbsthilfe

Im Schreiben findet die Autorin Halt und Fokus. Auch übt es motorisch, sowohl das Tippen als auch der Umgang mit der Maus oder das Vorlesen hinterher. „Man denkt sich: ‚Wozu bist du denn überhaupt noch nützlich?‘ Und plötzlich hat man so ein Tätigkeitsfeld, bei dem es nicht so darauf ankommt. Das tut unglaublich gut!“  Sogar mehrere Veröffentlichungen über einen Verlag kann Anja inzwischen vorweisen und einen Blog mit ihrer Lyrik betreibt die kreative Schreiberin. Anjas aktueller Lyrikband heißt “Lebenszeit(en) – Lyrik zwischen Angst und Zuversicht“. Reinlesen lohnt sich.

Beim Schreiben und in der Parkinsonselbsthilfe hat Anja sogar neue Freundschaften geschlossen. Dabei wollte sie nicht in die Selbsthilfe, dem Parkinson nicht so viel Raum geben, sich nicht aktiv mit ihm beschäftigen. Doch eine Veranstaltung in Trier weckte ihre Aufmerksamkeit, weil sie dich von früher mit der Stadt verbunden fühlt, es sich sicher anfühlte, dort nur zuzuhören. Bevor sie hinfuhr, rief sie jedoch bei den Veranstaltern an. Am Telefon hatte sie Wilfried Scholl, selbst Betroffener, Landesbeauftragter der deutschen Parkinson-Vereinigung e. V. (dPV) für Rheinland-Pfalz und Bundesbeauftragter der Junge Parkinsonkranke (JuPa). Eineinhalb Stunden telefonierten die beiden, fühlten sich sofort verbunden. Vor Ort in Trier traf Anja dann ihn und seine Frau persönlich. „Das sind beide absolute Herzensmenschen!“, betont sie. Die klassische Selbsthilfegruppe ist noch immer nichts für sie, doch „Selbsthilfe heißt vieles, vielleicht auch, jemanden zu finden. Egal ob das institutionalisiert ist oder nicht. Es muss keine Gruppe sein, eine Person reicht.“

Ein Licht

Die Schwärze der Nacht hält mich gefangen,

ich schwanke zwischen Furcht, Hoffen und Bangen.

Plötzlich erscheint im Dunkeln ein Licht,

aber wo es herkommt, dass erkenne ich nicht.

Ruhig und besonnen geh‘ ich ihm entgegen,

auch wenn die Straße ist eher ungünstig gelegen,

die ich dazu entlang muss marschieren

und ich drohe, die Orientierung zu verlieren.

Doch ehe das Grauen im Dickicht der Nacht

erscheint und mich verhöhnt und verlacht,

komme ich an der Lichtquelle an

und bin erstaunt, was ich erkennen kann.

Dieses Licht ist kein etwas, ist nicht neu, nicht extern,

ist nicht greifbar, ist weder nah noch fern.

Das Licht, das mir Trost und Hoffnung schafft,

bin ich ganz allein mit all meiner Kraft.

Indem ich mir selber bin entgegengekommen,

konnte ich der anhaltenden Finsternis entkommen.

Ich erhelle jede einzelne kleine Straßen-Ecke.

Dabei ich unendlich viel Liebe und Freude entdecke,

die in mir wohnen, mich niemals verlassen.

Dank ihnen gelingt es mir, nicht weiter zu hassen,

sondern mein Schicksal anzunehmen,

mit allem Hässlichen, allem Schönen.

Redlich kämpft mein Herz gegen das Dunkel der Nacht,

das gespeist vom Feuer der Leidenschaft wird zum Strahlen gebracht,

In meinen Händen liegen die Schwerter von Liebe und Wut,

in meiner Seele befeuern Briketts aus Stärke und Mut

lichterloh brennende Scheiterhaufen gegen Angst und Untergang.

Und ich kämpfe, bis die Nacht um mich weicht, irgendwann.

(Anja Allmanritter)

Bildnachweis

  • Nicole Banik

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