„Er fragte mich: Welche Therapie passt wirklich für Sie?“

„Er fragte mich: Welche Therapie passt wirklich für Sie?“

Denise ist trotz MS mit ihren Kindern aktiv.

„Er fragte mich: Welche Therapie passt wirklich für Sie?“

Denise (36*) ist vierfache Mutter, alleinerziehend und sie hat Multiple Sklerose. Die chronische, unheilbare neurologische Erkrankung veränderte ihr Leben grundlegend, aber das ihrer Kinder sollte es nie beeinflussen, das stand für die Medizinische Fachangestellte von vornherein fest. Also suchte sie nach einer Therapie, die ihr ein weitgehend uneingeschränktes Leben mit ihren Kindern ermöglicht, und fand sie.

Die Diagnose kam an Heiligabend

Ihre Diagnose erhielt Denise am 24.12.2017. Sie sagt, es war das Weihnachtsgeschenk ihres Lebens. Dass sie am Heiligabend mit Sehstörungen des rechten Auges in die Itzehoer Klinik fuhr, in der sie die Ausbildung gemacht und seither immer gearbeitet hatte, war eigentlich Glück im Unglück. Denn es war kaum Betrieb und alle Ärzte, die sie brauchte, waren da. „Ich bin zu meinen Kollegen gefahren und wollte mir eigentlich nur ein paar Augentropfen holen“, erzählt die lebensfrohe junge Frau lachend. In der Klinik traf sie auf einen Oberarzt, der 2014 schon einmal ein schwerwiegendes Symptom bei ihr behandelt hatte. Nun wurde er hellhörig, und weil er gerade Zeit hatte, behielt er Denise da und machte ein paar Tests.

Im Schock begriff sie es zunächst gar nicht

Drei Jahre zuvor hatte er bei Denise eine Myelitis, eine Rückenmarksentzündung, diagnostiziert. Der Verdacht auf Multiple Sklerose stand auch damals schon im Raum, wurde überprüft und verworfen. Rückblickend wissen Denise und ihre Ärzte heute: Das war schon der erste Schub. 2015 hatte sie einmal einen tauben Arm, dachte aber, sie hätte sich verlegen oder ungünstig abgestützt. Auch das war ein Anzeichen. Als sie also mit ihren Sehbeschwerden in die Klinik kam, gingen die Tests auf Verdacht erneut los. Das Ergebnis lag schnell vor: Multiple Sklerose. Der Schock saß so tief, dass sich Denise gemeinsam mit ihrer besten Freundin, die im Krankenhaus gerade Schicht hatte, erst einmal freute: Glück gehabt, es ist kein Hirntumor! Erst, als sie wieder zuhause ankam, begriffen beide, was die Worte Multiple Sklerose für Denise bedeuteten.

Ihr Kleinster war gerade einmal 8 Monate alt 

„Da ist dieses Narrativ: Du hast MS und dann landest du im Rollstuhl. Das hab‘ ich auch gedacht, obwohl ich Fachpersonal bin! Ich dachte: Ja, dann sitzt du im Rollstuhl“, erinnert sich die junge Mutter. Denn gerade, weil sie als gelernte Medizinische Fachangestellte (MFA) wusste, wie schlimm es mit der MS werden kann, hat sie sich in den ersten Jahren ihrer Erkrankung nicht mit ihr beschäftigen wollen.

Und dann waren da noch die Kinder, die sich nicht um eine schwerkranke Mutti sorgen sollten. Acht Monate vor der Diagnose war gerade ihr Jüngster, Piet**, geboren worden. „Eigentlich ist das dieser typische Schub nach Geburt“, sagt Denise, und: „Während der Schwangerschaft geht es vielen MSlern so gut wie nie!“, auch sie hatte eine super Schwangerschaft. Nur nach der Entbindung müsse man sehr auf sich achten, weil das Risiko eines Schubes erhöht sei. Das liegt an der Hormonumstellung, die der Körper zusätzlich zur Erkrankung auch noch bewältigen muss.

„Hit hard and early“, sagte der Neurologe

„Dr. Gehring hat mich gerettet, mehrmals“, sagt sie. Direkt nach der Diagnose fragte er ihre Lebensumstände ab. Denise wollte weiterarbeiten, übernahm gern die Nachtschichten in der Notaufnahme. Das Medikament, das der Neurologe aus Itzehoe seiner Patientin empfahl, und das sie seither nur zweimal im Jahr verabreicht bekommen muss, war damals ganz neu auf dem Markt, und geht jetzt auch ganz einfach per Injektion in 10 Minuten, ebenfalls zweimal im Jahr bei gleicher Wirkung. Multiple Sklerose ist eine chronische, entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems.„Hit hard and early“ sei seine Empfehlung zur MS-Behandlung gewesen, sagt Denise, diesen Satz werde sie nie vergessen. Es bedeutet, so früh und so intensiv wie möglich mit einer Behandlung gegen die MS vorzugehen. Bei Denise bestand besonders hoher Handlungsdruck, denn ihre Multiple Sklerose war hochaktiv und schon damals wies ihre Halswirbelsäule schwere Schäden auf.

Die Betroffenen, die in unserer Praxis die B-Zell-Therapie bekommen, die sowohl als Infusion als auch sbkutan verabreicht werden kann, beiben während der Behandlung stabil. Das bedeutet, dass unsere Patientinnen mit schubförmiger Multiple Sklerose keine neuen Schübe haben“, sagt Dr. Gehring über die von ihm damals empfohlene Therapie.

„Ich wollte nicht sehen, wie schlimm es wird.“

Zunächst erhielt Denise alle Impfungen, die vor Therapiebeginn verabreicht werden mussten. Mit Kortison war sie vorerst gegen weitere Entzündungsschübe abgedeckt. „Und dann fragte Dr. Gehring mich: Was passt für Sie? Nicht: Was kriegen Sie mit den Kindern irgendwie hin, sondern was passt für Sie wirklich?“, erinnert sie sich, noch immer sichtlich dankbar. Gemeinsam entschieden sie sich für das neue Medikament.

Die Arbeitsstunden in der Klinik schränkte die engagierte MFA zunächst nicht ein. Sie konnte den Dienstplan ja einfach an die lang im Voraus feststehenden Therapietermine anpassen. „Da hab ich meine Diagnose noch komplett ignoriert“, sagt Denise. Sie sei manchmal direkt nach der Applikation in die Klinik zur Schicht gegangen. Natürlich wussten die Kollegen alle von ihrer Diagnose, sie war ja vor Ort gestellt worden. Aber Denise legte fest: Sie wollte weder darüber reden noch wollte sie – sofern die Lage es hergab – MS-Patienten behandeln müssen. Denn als Mitarbeiterin der Notaufnahme bekam sie nur die allerschlimmsten Fälle zu sehen. Dass es den Betroffenen teils jahrelang gutgegangen war, bevor sie in der Notaufnahme landeten, bekam sie nicht zu sehen. „Ich wollte nicht sehen, wie schlimm es wird“, erinnert sich die junge Frau. „Und genau deshalb hab ich mich für die Therapie entschieden, weil ich von der MS so frei wie möglich sein wollte.“

In der Reha fragte ein Therapeut, wie sie mit ihrer MS umgehe

Denn wegen der langen Anwendungsintervalle musste sie sich nur alle sechs Monate aktiv mit ihrer Krankheit beschäftigen. Dazwischen war die Multiple Sklerose quasi kein Teil ihres Lebens. Geändert hat sich das, als sie 2020 mit den Kindern in einer Familienorientierten Reha war. Dem Therapeuten fiel auf, dass Tochter Lena nicht über ihre eigene Herzerkrankung sprach. Als er die Mutter fragte, wie sie selbst mit ihrer MS umgehe, reagierten die Kinder überrascht: „MS, was ist das?“ Über zwei Jahre lang hatten sie ihre Mutter trotz Erkrankung aktiv und ohne Einschränkungen erlebt. Denise hatte sie dank ihrer Therapie in Sicherheit wiegen können.Multiple Sklerose ist nicht heilbar, aber es gibt diverse Therapien, die die Symptome behandeln.

Noch bis zur Corona-Pandemie arbeitete Denise normal weiter. Dann konnte Lena wegen ihrer Herzerkrankung nicht in die KiTa und Denise blieb bei den Kindern zuhause. Der zusätzliche Stress ließ sie schlecht schlafen und das beeinflusste auch ihre Multiple Sklerose massiv. Die MFA war nicht mehr überzeugt, ihren Job noch sicher ausführen zu können, ohne jemanden zu gefährden, und auch Dr. Gehring war alarmiert. „Wieder hat er mich gerettet“, sagt sie. Im November 2020 stellte sie mit seiner Unterstützung den Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Überraschend schnell kam im Januar drauf der Bescheid, der sie rückwirkend zum Dezember verrentete.

„Ich hab bei trotz MS angefangen, weil es viel zu wenig Aufklärung gibt.“

So schnell hatte Denise mit einer vollständigen Bewilligung nicht gerechnet. Sie schlief wieder mehr, kümmerte sich mehr um sich selbst. Durch die Berentung schafft Denise ihren Alltag mit vier Kindern nun allein. Trotz MS machen sie Ausflüge, sind aktiv, leben ein beinahe normales Leben.

Bei www.trotz-ms.de einer Community von Betroffenen, macht Denise mit, seit ihre Freundin sie ermutigte, bei Instagram (@trotz_ms) mal nach anderen Betroffenen zu schauen. Bis dahin hatte sie ihre Erkrankung ja ausgeblendet, sich daher auch nicht für andere MS-Erkrankte interessiert, nicht einmal für die, denen es so gut geht wie ihr. Doch seit der Berentung hat Denise auch viel Zeit für sich und ist heute froh, dass sie ein Netzwerk gefunden hat: „Plötzlich sind da Menschen, die genau wissen, wovon du sprichst. Du musst nicht groß ausholen oder etwas umschreiben, die sagen einfach: Ja, das kenn ich. Und plötzlich ist man verstanden.“ Aber, sagt Denise auch, sie habe zwar sich als MS-Patientin in all den anderen Betroffenen und auch in den Aktionen von Trotz MS wiedergefunden, aber nicht sich als Mutter mit MS mit noch kleinen Kindern. Die Kinder der anderen Mütter waren bereits erwachsen.

Das ist inzwischen anders. Denn Denise hat sich genau deswegen als junge Mutter zu engagieren begonnen, hat aufgeklärt und fährt auch heute noch mit auf die „Trotz MS -Roadshows“, um anderen Menschen die Krankheit mit den 1.000 Gesichtern näher zu bringen, Angst zu nehmen, aufzuklären und zu zeigen, dass das Leben mit Multiple Sklerose eben nicht vorbei ist, sondern auch noch wirklich schön, frei und fast unbeschwert sein kann.

*Stand 2024

**Namen der Kinder von der Redaktion geändert

Bildmaterial: Diana Jasdz

Weitere Infos: Neurozentrum am Klosterforst in Itzehoe

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