Trotz MS wieder mitten im Leben
Bald zehn Jahre ist es her, dass zwei Buchstaben die bekannte RTL-Sportmoderatorin und ehemalige Sprinterin von heute auf morgen aus der Bahn werfen: Anna Kraft (39) erhält die Diagnose MS, Multiple Sklerose. Für sie beginnt ein kräftezehrender Marathon mit vielen Hürden. Doch heute sagt sie: „Ich bin wieder mitten im Leben angekommen, auch dank einer Therapie, die mir Sicherheit gibt und viele Freiräume lässt.“
„Mit 30 musste ich wieder laufen und schreiben lernen.“
Als Anna an einem Mittwoch im Dezember 2015 beim Friseur sitzt, kribbelt es plötzlich im rechten Bein, als sei es „eingeschlafen“. Aufstehen, bewegen, nichts hilft. Zu Hause werden die Taubheitsgefühle schlimmer. „Ich tippte auf einen eingeklemmten Nerv“, erinnert sich die Moderatorin. Schließlich fährt sie in die Notaufnahme der nächsten Klinik. Dort will sie sich schnell wieder „einrenken“ lassen, denn eine wichtige Sendung steht bevor. Doch gar nichts renkt sich ein, im Gegenteil: Nach zahlreichen Untersuchungen steht die Diagnose MS fest.
Der „eingeklemmte Nerv“ stellt sich als erster Schub der chronisch-entzündlichen Erkrankung des Nervensystems, für die es bislang keine Heilung gibt, heraus. Annas rechte Körperhälfte gehorcht ihr nicht mehr. Es folgen ein längerer Krankenhausaufenthalt mit Kortison-Stoßtherapie, etlichen Checks, Physio- und Ergotherapien sowie eine Reha. „Ich fühlte mich von meinem Körper verraten und im Stich gelassen. Früher war er mein Freund, den ich als Leistungssportlerin perfekt unter Kontrolle hatte, auf den ich mich verlassen konnte. Nun wurde er zum Feind. Alles, was selbstverständlich war, ging plötzlich nicht mehr – mit 30 musste ich wieder laufen und schreiben lernen.“ Auf ihren Partner, den Fußball-Kommentator Wolff-Christoph Fuss, kann Anna sich jedoch verlassen. „Wir schaffen das!“ ist seine spontane Reaktion auf die Diagnose, und er hält Wort!
Schübe und Dämonentage
„Ich habe versucht, die Krankheit wegzusperren“
Anna erleidet weitere Schübe, mal mit Sehstörungen, mal spielt die Blase verrückt… Zwischendurch immer wieder diese düsteren Phasen, in denen sie total erschöpft ist und ihr Körper einfach nicht mitspielt – Anna nennt sie „Dämonentage“. Jedes Mal kämpft sie sich zurück ins Alltags- und Berufsleben, macht Sport, ernährt sich gesund, steht vor der Kamera und lässt sich nichts anmerken. „Nach den Schüben bleiben aber Baustellen. Oft kann ich das Mikro nicht rechts halten und muss die linke Hand nehmen. Ich bin super wetterfühlig und temperaturempfindlich – im kalten Stadion brauche ich eine dicke Jacke, Hitze und Sonne wiederum triggern Symptome wie Kribbeln und Sehstörungen.
Mal kann ich im Studio meine geliebten High Heels tragen, mal bin ich wackelig auf den Beinen und muss auf Sneakers umsteigen.“ Das passt nicht immer in die Regie und einige Kameraleute sind irritiert. Aber Anna zieht ihren Job stur durch, sie will keine Schwäche zeigen. Von der Erkrankung wissen zu dem Zeitpunkt nur sehr wenige und knapp sechs Jahre hält sie die MS geheim. „Ich habe versucht, sie wegzusperren.“ Aber das gelingt nicht wirklich. „MS ist wie ein Partygast, den du nicht eingeladen hast, der höllisch nervt, sich breit macht und nicht mehr geht. Erst wollte ich sie ignorieren und einfach im Flur stehen lassen. Doch dann habe ich sie wohl oder übel ins Gästezimmer einquartiert.“
Therapieumstellung und Kinderwunsch
„In den Schwangerschaften ging es mir so gut wie nie!“
Anfangs wird Anna mit Interferon behandelt – es wirkt entzündungshemmend und reguliert das Immunsystem. Das Medikament verabreicht sie sich selbst mit einem Pen. „Horror, ich hasse Spritzen! Oft musste ich sie mir in den Drehpausen setzen.“ Die Therapie bringt jedoch wenig Erfolg und Anna wird auf eine Alternative umgestellt, seltener gespritzt und fühlt sich in ihrem Leben freier.
Bald spielt auch die Familienplanung eine immer größere Rolle. „Überall im Freundeskreis kam plötzlich Nachwuchs und auch bei uns erwachte der Wunsch nach Kindern. Aber schwanger mit MS, geht das? Würde ich die Krankheit vererben?“ Für das Paar stellen sich viele Fragen. Annas behandelnder Arzt versichert ihr, dass eine Vererbung extrem selten ist und Schwangerschaften die Symptome und Schübe sogar mildern können. Tatsächlich: „In den Schwangerschaften mit Emmi und Milla ging es mir so gut wie nie! Keine Fatigue, also diese unsägliche Erschöpfung, keine Dämonentage!“ Anna bringt 2018 und 2020 zwei gesunde Mädchen zur Welt. „Sogar eine natürliche Geburt wäre mit MS kein Problem, aber ich habe mich sicherheitshalber für einen Kaiserschnitt entschieden.“ Kurz danach meldet sich die Krankheit allerdings mit voller Wucht zurück.
Anna hat einen heftigen Schub und braucht eine Infusion. Wegen möglicher Risiken für das Baby verzichtet sie auf das Stillen, nach der zweiten Geburt ebenfalls. „Mit den Fläschchen funktionierte es zum Glück supergut – Wolff hat mich toll unterstützt und ich konnte auch mal eine Nacht durchschlafen. Aber das Stillen hätte ich schon gerne ausprobiert.“ Mittlerweile ist die moderne Antikörpertherapie, die Anna inzwischen zweimal im Jahr bekommt, auch für die Zeit der Familienplanung und die Stillzeit zugelassen.
Dr. Daniela Rau, Fachärztin für Neurologie aus Ulm, verfügt über langjährige Erfahrung in der Behandlung von Multipler Sklerose sowohl in der Praxis als auch in Studien und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Sie sagt: „Wir haben inzwischen viele, gut verträgliche, auch hocheffektive Therapien, die wir einsetzen können, die mit einer Schwangerschaft und Stillzeit absolut vereinbar sind. Und da uns hierbei wirklich sehr gute Optionen zur Verfügung stehen, kann ich nur jeder Frau mit MS empfehlen, die einen Kinderwunsch hat: „Go for it!“ Auch Anna findet: „Ein echter Fortschritt! Ich freue mich, dass junge Mamas jetzt beides haben können: Die Familien bekommen ein gesundes Baby und eine Mama, bei der die MS unter Kontrolle ist.“
Mut zum Outing – endlich keine Geheimnisse mehr
„Je mehr ich die Krankheit zulasse, desto besser geht es mir!“
Etwa sechs Jahre vergehen, bis Anna sich traut, ihre Erkrankung öffentlich zu machen. „Ich musste mich erst an diesen ungebetenen Gast gewöhnen, die MS akzeptieren und mit ihr leben lernen. Es ging auch um meinen Job – ich befürchtete, dass man mir nichts mehr zutraut.“ Im August 2021 nimmt die Moderatorin ihren Jobwechsel zu RTL zum Anlass für ihr Outing. „Die Welle an Zuspruch war überwältigend. Auch Betroffene und Angehörige meldeten sich bei mir. Das hat mir Mut gemacht, und dieser enorme Druck ließ nach: Endlich keine Geheimnisse mehr! Seither merke ich, je mehr ich die Krankheit zulasse, desto besser geht es mir.“
Nur noch zwei Mal im Jahr zur Therapie
„Mein Körper wird allmählich wieder zum Freund“
Anfang 2022 wird Annas Therapie erneut umgestellt: Statt monatlich erhält sie nur noch halbjährlich einehochwirksame Infusion. Damit eröffnen sich völlig neue Freiräume: „Klar, der Infusions-Tag hat es in sich. Rund sechs Stunden dauert die Prozedur. Wolff holt mich dann ab, ich muss erstmal etwas schlafen und essen. Das Ganze aber nur zweimal im Jahr !“, viel komfortabler sei das. Inzwischen ist ihre Antikörpertherapie sogar als zehnminütige Injektion verfügbar.
Klar, der Infusions-Tag hat es in sich. „Rund sechs Stunden dauert es, bis ich fertig bin. Das Ganze aber nur zweimal im Jahr!“, viel komfortabler sei das. Inzwischen ist ihre Antikörpertherapie sogar als zehnminütige Injektion verfügbar. „Seit der Therapieumstellung habe ich keine Schübe mehr und die MS-Symptome besser im Griff.“ Dr. Daniela Rau dazu: „Uns stehen aktuell gut verträgliche und hocheffektive Therapien zur Verfügung, so dass wir es uns zum Ziel setzen können, die Krankheitsaktivität zu „stoppen“ und gleichzeitig eine maximale Lebensqualität für unsere Patient:innen zu erreichen“, und auch Anna stellt fest: „Mein Körper wird allmählich wieder zum Freund, auf den ich mich verlassen kann, jedenfalls meistens. Das ist für mich ein großes Stück Normalität und ein großes Geschenk.“
Mehr Selfcare, weniger Stress
Natürlich gibt es immer noch die „Dämonentage“, an denen sich die MS aus dem Gästezimmer herausschleicht und nervt. Damit geht die Moderatorin und Mama jetzt souveräner um. Eine ihrer Erfolgsstrategien ist Selbstfürsorge: „Ich habe gelernt, wie wichtig eine feste Tagesstruktur für mich ist, dass ich regelmäßig esse, Pausen mache und gut schlafe. Ich muss auch nicht immer Misses Perfect sein. Ich darf auch mal sagen: Ich kann nicht mehr, oder: Ich muss mich für ein paar Tage rausnehmen.“ Das gilt für den Job und die Familie. „An manchen Tagen kann ich mit den Mädchen toben, spielen und klettern, an anderen schaffe ich es nicht, sie auch nur hochzuheben.“
Dass die MS-Therapie gut informierte und eigenverantwortliche Patient:innen braucht, bekräftigt auch Dr. Daniela Rau: “Für uns Ärztinnen und Ärzte – aber auch besonders für die Betroffenen selbst – ist es optimal, wenn sie selbst engagiert und wissend und von uns sowohl prophylaktisch als auch symptomatisch mit der bestmöglichen medikamentösen Therapie versorgt sind. Ziel sollte dabei erneut eine maximale Lebensqualität im Alltag sein.“
Vor jedem öffentlichen Auftritt nimmt sich die Moderatorin Zeit für ein Selfcare-Ritual. „Ich brauche dann eine halbe Stunde für mich allein, zur Not auf der Damentoilette. Ich wasche mir die Hände, schaue in den Spiegel und horche in mich hinein. Merke ich zum Beispiel ein Kribbeln im Bein, steige ich auf Sneakers um und los geht’s.“
Botschafterin in Sachen MS
Neben Familie und Job steht bei Anna das Engagement als MS-Botschafterin ganz oben. Sie gibt inzwischen Interviews, spricht in Podcasts, postet auf Instagram und hat ein biographisches Sachbuch geschrieben: Kraftakt. Mein Leben mit Multipler Sklerose (südwest-Verlag). „Ich will diese Krankheit entmystifizieren, Betroffenen die Angst nehmen und vor allem das immer noch allgegenwärtige Rollstuhl-Image korrigieren. Indem ich über meine guten und schlechten Tage rede und schreibe, zeige ich, dass Menschen mit MS aktiv am Leben teilnehmen.“
Wegen der vielen unterschiedlichen Symptome und Verläufe gilt MS als die Krankheit mit 1000 Gesichtern. Anna sagt: „Ich möchte der Krankheit ein neues, persönliches Gesicht geben.“ 2025 übernimmt Anna daher die Schirmherrschaft für die Informationskampagne „trotz MS“. Und ihr nächstes Projekt? „Ich denke über ein Kinderbuch nach, das MS in Bildern und einfachen Texten erklärt. So etwas fehlt bislang, und meine Mädchen – Emmi ist jetzt schon in der Schule – fragen mir Löcher in den Bauch. Anfangs habe ich die Krankheit noch erklärt mit Rittern, die in meinem Körper kämpfen. Werden die Kleinen größer, reicht das nicht mehr.“
Bildmaterial: Anna Schnauss
Weitere Infos: Neurologie Ulm, Dr. Daniela Rau
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