
Vanessa lässt sich von der Hämophilie A nicht aufhalten
Zwei Katzen leben an ihrer Seite, ihren Körper zieren bislang fünf Tattoos, und es sollen noch mehr werden. Das Fitness-Studio oder Inlineskaten gehören zu ihrem alltäglichen Sport-Programm. Was für die meisten jungen Leute ganz normal ist, braucht bei Vanessa (21*) immer ein wenig mehr Überlegung: kann sie ihrem Körper das zumuten? Denn Katzen können kratzen, die Tätowiernadel verletzt die Haut, und auch beim Sport riskiert man schnell eine Verletzung. Für Vanessa könnte eine Blutung lebensbedrohlich werden. Denn die junge Frau hat schwere Hämophilie A – eine unheilbare Blutgerinnungsstörung. Seit 2021 bekommt Vanessa eine moderne Antikörper-Therapie – und damit stehen ihr völlig neue Möglichkeiten offen.
Die Kinderärztin dachte, sie hätte sich geirrt
Hämophilie A tritt bei Mädchen und Frauen äußert selten auf – Vanessa ist eine von geschätzt zehn Patientinnen in Deutschland. Selbst erfahrene Ärzte stutzen oft erst einmal, wenn sie sich mit den typischen Symptomen vorstellt. Denn da die seltene Erkrankung auf dem X-Chromosom vererbt wird, können Frauen diesen Defekt eigentlich mit dem zweiten X-Chromosom ausgleichen, Männer nicht. Daher sind deutlich mehr Männer von ihr betroffen. Frauen sind meist nur Überträgerinnen von Hämophilie A und selbst kaum merklich betroffen.
Bei Vanessa hingegen war schon früh aufgefallen, dass etwas nicht stimmt: Als sie als kleines Mädchen zu krabbeln begann, bildeten sich schwarzblaue Flecken auf ihrer Brust – riesige Hämatome, die nur schwer heilten. Die Kinderärztin bekam zwar den richtigen Befund aus der Blutuntersuchung. „Aber sie dachte, sie hätte sich geirrt, und sagte nichts“, erzählt Vanessa. Die seltene Diagnose wurde erst einige Zeit später in einer Klinik gestellt und ausgesprochen.
Oft musste ihr Vater sich erklären
Obendrein passte ihr „Helikopter-Vater“ auf, dass seinem Augenstern nichts geschah. „Eine Rabaukin“ sei sie dennoch gewesen, gesteht Vanessa. Herumtoben, auch mal tollpatschig sein, kleinere Unfälle waren – wie bei jedem anderen Kind auch – für Vanessa an der Tagesordnung. Doch sie trug dann sofort blaue Flecken davon. Die schmerzten, brauchten lange, bis sie abheilten – doch wirklich schlimm war für Vanessa, dass dem fürsorglichen Vater häufig unterstellt wurde, er täte dem Mädchen diese Verletzungen an. Die permanenten Hämatome an ihren Armen und Beinen sorgten für Erklärungsnot. Und das damit verbundene Misstrauen in ihrer Umgebung machte Vanessa häufig zu schaffen. „Dabei habe ich meinen Papa so vergöttert!“, sagt sie. „Und er mich auch.“ Als er schließlich nicht mehr bei ihr war, kam bald der Wunsch nach der ersten Tätowierung auf: „Ein Tattoo für Papa!“ Die große Liebe zu ihm wollte die Tochter einfach sichtbar machen. Nur leider ging das zunächst nicht, denn auch hier stand die Hämophilie im Weg. Zu gefährlich wäre es gewesen, durch die Nadel eine große Blutung zu riskieren.
Mit innovativer Therapie ist dann doch vieles möglich
Vanessa wurde 2021 von ihrem Arzt auf eine moderne Therapie mit einem Antikörper aufmerksam gemacht. „Endlich keine Spritzen mehr“, war das Erste, was Vanessa sich darüber merkte. Dabei stimmte das so nicht ganz. Die Erleichterung, nicht mehr ständig zum Spritzen in die Vene zum Arzt zu müssen, war allerdings sofort nach der Umstellung für sie spürbar. Denn das neue Medikament muss nur noch alle 4 Wochen subkutan, also unter die Haut, injiziert werden. Und das schafft Vanessa allein und zu Hause: „Man hat mir in der Arztpraxis gezeigt, wie ich unter die Haut spritzen muss“, erzählt sie, stolz darauf, dass sie das allein schafft – und enorm erleichtert, dass die Therapie nicht nur einfacher ist, sondern ihr auch mehr Sicherheit gab: Als erstes erfüllte sie sich ihren Wunsch nach dem Tattoo für ihren Vater. Nach einem Test im Tätowierstudio war geklärt: der Tätowierer kann den Körperschmuck aufbringen, ohne dass es zu auffälligen Blutungen kommt. „Ich habe mir Papas Sternbild, Zwillinge, tätowieren lassen“, erzählt sie freudestrahlend. „Und dazu sein Geburtsjahr.“
Die alten Narben können endlich verheilen
Einige Monate vor der Therapieumstellung lernte Vanessa ihren Partner Daniel kennen. Ein gemeinsamer Freund stellte sie einander vor. „Er rief mich an und fragte, ob ich Vanessa mal kennenlernen wollte“, erinnert sich Daniel. Seither sind die zwei ein Paar. „Am Anfang durfte ich meine Freundin noch nicht einmal leicht anfassen, da sie sofort blaue Flecken bekam. Das ist heute viel besser geworden“, erinnert er sich an den deutlich spürbaren Unterschied mit Vanessas neuer Therapie. Für die junge Frau hat sich seit der Therapieumstellung Einiges zum Guten geändert, auch Dinge, mit denen sie so vorher nicht gerechnet hat: „Gerade die Narben durch das ständige Spritzen in die Venen waren einfach nicht schön, besonders wenn ich mal im Sommer ein Kleid oder Top anziehen wollte.“ Seit der Umstellung verblassen die Narben. Ganz verschwinden werden sie nicht und werden Vanessa immer an die alte Zeit erinnern. Doch jetzt hat sie daneben auch ihre Tattoos, die ihr zeigen, dass eine vermeintlich kleine Veränderung wie die Wahl einer modernen Therapie große Auswirkungen haben kann. Denn nun ist Vanessa beim Verwirklichen all ihrer Pläne gut geschützt.
*Stand 2024
Bildmaterial: Gerd Bülte / fotoart4you
Weitere Mutmachgeschichten zu Hämophilie A
Sind Sie als Vertreter*in der Publikumspresse oder als Medizinredakteur*in auf der Suche nach authentischen und ergreifenden Geschichten? Wir haben bereits alles für Sie vorbereitet. Schreiben Sie uns an!

Unsere Themen
Neue Mutmachgeschichten
Spende Mut
Welche Krankheit hast du bewältigt? Was hat dir Kraft verliehen? Hilf anderen Betroffenen und erzähl deine Geschichte!